Trinitatis (aus dem Gemeindebrief Juni 07)

Wie viele von Ihnen wissen, habe ich jüngst eine Zeit in einem islamischen Land gearbeitet und an verschiedenen Stellen Einführungskurse in den Islam gegeben. Wer als Christ den Koran studiert, mag auf den ersten Blick überrascht sein, welch große Rolle dem Propheten Isa (=Jesus) zukommt. Eine Gottessohnschaft Jesu wird im Koran aber entschieden abgelehnt. Muslime akzeptieren Christen wie Juden zwar als ahl al-Kitab, als Völker des Buches, und sind laut Koran daher zur religiösen Toleranz gegenüber Christen aufgefordert. Gleichzeitig wird den Christen aber vorgeworfen, die Heiligkeit Gottes gerade da zu verletzen, wo sie ihm mit einem Sohn und dem Heiligen Geist zwei weitere „Götter“ zur Seite stellen.
Meine Erfahrung ist, daß man sich selbst besser verstehen lernt, wenn man sich auf den anderen einlässt. Der Dialog mit dem Islam fordert uns als Christen heraus, uns selbst immer wieder mit unserer eigenen Lehre von der Trinität Gottes zu beschäftigen. Warum muß Gott einer sein, um wahrer Gott zu sein? Warum müssen wir von ihm in drei Personen sprechen? Wie geht das zusammen? Die Predigttexte aus dem Johannesevangelium in der Zeit nach Ostern sprachen fast alle von der Einheit des Vaters und des Sohnes. Im Bibelgespräch hatten wir dazu im Mai anregende Diskussionen: Beten wir zum Vater oder zum Sohn, oder zu beiden? Ist es einer, sind es zwei?
Ich möchte daher mit Ihnen die Zeit nach Trinitatis ganz bewußt erleben. Trinitatis ist nicht die Zeit, in der den „Machern“ des Kirchenjahres die Namen für die Sonntage ausgegangen sind (12., 15., 22. Sonntag nach Trinitatis), sondern in der das wesentliche des christlichen Glaubens betrachtet werden soll. Es wäre schön, wenn wir die verschiedenen Plattformen in der Gemeinde dazu nutzen könnten, hier miteinander und von den anderen zu lernen. Stets mit einem Blick darauf, was andere glauben, möchte ich das Thema in den Mittelpunkt von Gottesdiensten, Bibelgesprächen, Fortbildungen des Vorstandes usw. setzen. Ich freue mich auf eine spannende Zeit des gemeinsamen Lernens.
Pastor Wolfgang Jockusch