Gemeindechronik: 1938 - ein Rückblick von A. Radau

Pastor A. Radau veröffentlichte 1938 den nachstehenden Artikel in einer Festschrift zum 200 Jährigen Jubiläum der Methodistischen Bewegung.

Die Gemeinde in Oberschöneweide
Von A. Radau

Wohl nicht in der Mitgliederzahl, jedoch in der Zahl ihrer Mitarbeiter und nach ihrer Opferfreudigkeit zählt die Methodistengemeinde in Oberschöneweide zu den ersten Gemeinden in Groß-Berlin.
Fünf treue Mitarbeiter helfen dem Gemeindeprediger in Dienst am Wort. Verantwortungsbewußte Klaßführer bilden das geistliche Rückgrat der Gemeinde. Ein leistungsstarker Kirchenchor mit jungen frischen Stimmen erhebt die Herzen der Hörer. Stete treue Kleinarbeit wird von den Vätern und Söhnen der Gemeinde im Posaunenchor geleistet. Ein fleißiger Frauen-Missionskreis weiß die Hände zu regen. Eine Schar treuer stiller Boten trägt hunderte von „Friedensglocken“ in die Häuser, und in der Sonntagsschule und im Jugendkreis wächst eine Jugend heran, diesich in ihrem Werden auf Christus ausrichtet. Auf den Nebenplätzen in Ragow, Zeuthen, Bohnsdorf und Köpenick wird der Missionsgeist der Gemeinde gepflegt. So ist die Gemeinde mit ihren 200 Gliedern und ihrem schmucken Kirchlein ein Arbeitsplatz, an welchem ein Prediger mit viel Freude seinen Dienst tun kann.
Die Entstehung der Gemeinde ist eine typisch methodistische und ging – wie kann es für eine Berliner Methodistengemeinde anders sein – von der Junkerstraße aus. Den Ansatz zur Gemeindebildung bot die im Bericht von Ragow erwähnte Familie Hermann Straube die damals zur Junkerstraße gehörte. Gelegentlich eines Hausbesuches durch den Gemeindeprediger Br. Keßler wurde man sich sinig, in der Wohnung von Geschwister Straube, Nalepastraße 51, mit Bibelstunden anzufangen. Am 27. November 1907 fand dann mit acht Personen die erste Bibelstunde in Oberschöneweide statt. Der Anfang war geschehen. Der Fortgang war jedoch sehr mühsam. Schließlich entschloß sich Br. Keßler in Gemeinschaft mit seiner Frau, einen Knaben- und Mädchenbund zu beginnen. „Aus den Bemühungen mit den Kindern“, so schreibt Br. Keßler, „ist die Gemeinde hervorgegangen.“ Die Arbeit im entkirchlichten Oberschöneweide war aber zunächst so fruchtlos, daß Prediger Keßler nach den vergeblichen Bemühungen mit Geschw. Straube beratschlagte, ob man die Arbeit in Oberschöneweide nicht lieber aufgeben sollte. Nach ernstem Gebet entschloß man sich aber, weiterzuarbeiten. Dieses Anhalten im Glauben ist nicht vergeblich gewesen, und Geschw. Straube, von denen Prediger Keßler schrieb: „Was Aquila und Priscilla dem Paulus waren, das sind in jener Zeit Br. und Schw. Straube mir gewesen“, durften erleben, daß des Herrn Arm nicht zu kurz ist, und sie sind die heute noch unter uns lebenden Stammeltern der Gemeinde geworden.
Nach Überwindung der ersten Widerstände mietete man im selben Hause, in der zweiten Etage, einen Raum für Versammlungszwecke. Am 5. April 1908 wurde darin die erste Versammlung gehalten. Am 4. September 1910 konnte man nach Entfernung der trennenden Wände die gesamte Wohnung dazunehmen und einen Saal für 90 bis 100 Personen einweihen. In diesem Raume hat sich die Entwicklung der Gemeinde durch eine beinahe zwanzigjährige Geschichte hindurch vollzogen.
Trotz der wenig günstigen äußeren Bedingungen für eine gute Entfaltung – der Saal lag im zweiten Stock und in einer abgelegenen Straße am Stadtrand, der Boden war nicht weniger hart als der vielbenutzte „harte Boden“, der in den Berichten der Reichsgottesarbeiter ein beliebter Sündenbock geworden ist – hat die Gemeinde sich prächtig entwickelt.
Die Bedienung der Gemeinde geschah von 1907 bis 1915 von der Junkerstraße durch die Prediger Keßler, Anner und Puhle, in der Zeit von 1915 bis 1925 von der Tilsiter Straße durch die Prediger Ohlrich, Güther und P. Wenzel. Am 24. Juli 1924 wurde die Gemeinde laut Konferenzbeschluß zur selbständigen Gemeinde erhoben. Nach vorübergehender Aushilfe erhielt sie 1925 ihren ersten Prediger, Karl Schmidt, der 1929 von Prediger W.K. Schneck abgelöst wurde. Diesem folgte 1933 Prediger Bruno Quiering und nach diesem 1936 Prediger A. Radau.
Neben dem treuen Dienst der Prediger war es aber nicht zuwenigst der Einsatz der Laienarbeit, der die Entfaltung der Gemeinde beeinflußt hat. Der Umstand, daß man 17 Jahre Nebenplatz war, ließ das Verantwortungsgefühl bei den mitarbeitenden Brüdern erstarken und dieselben sich intensiv in die Arbeit einsetzen. Die Gemeinde hielt zusammen und bildete eine einzige Familie. Es war eine schöne Zeit der engsten Gemeinschaft, als man noch in der Nalepastraße die Andachten hielt. Mancher denkt noch gern an die Stunden herrlichster Heilserfahrung in jenem trauten Raum zurück und erinnert sich, wenn durch die Überfüllung des Saales stärkste baupolizeiliche Bedenken auftraten. Es waren auch die Brüder der Gemeinde, die unter Führung ihres damaligen langjährigen Gemeindevertreters Br. Heinrich die Initiative ergriffen und zum Bau einer Kapelle drängten, so daß der Distriktsvorsteher Prediger Kneip, der den Wert der Gemeinde wohl zu schätzen wußte, es auf sich nahm, in schwerer Zeit den Bauplatz zu erwerben und für den Bau einer Kapelle sich einzusetzen und verantwortlich zu zeichnen.
Es war ein Freudentag, als am 25. September 1927 nach einer zwanzigjährigen Entwicklung die Gemeinde ihr Kirchlein in der Helmholtzstraße einweihen durfte.
Mit der Selbständigmachung und der Errichtung einer würdigen Kirche setzte auch eine stärkere Vorwärtsbewegung der Gemeinde ein. Der Segen blieb der treuen Arbeit des Predigers Schmidt nicht versagt. Die folgenden Prediger konnten die Vorwärtsbewegung weiterführen, so daß in der Zeit von 1925 bis Anfang 1938 170 Probeglieder aufgenommen wurden. Da die Anzahl der Aufnahmen sich durch den Wechsel der Prediger hindurch in einer bis jetzt stetig steigenden Linie bewegt hat, ist Grund zur Hoffnung auf einen weiteren vom Herrn gesegneten Weg der Gemeinde. Wir tun unser Werk im Aufblick zum Herrn unter der Losung: „Das Reich Gottes besteht nicht in Worten, sondern in Kraft.“